Ewige Jugend, Wachstum forever
Nach dem TV Spiel von Eugène Ionesco „Der Schlamm“ – deutsche Bühnenuraufführung.
Ein experimentelles Kammer-Musical mit ausgewählten Popsongs der 80ziger und 90ziger.
In Ionescos Fernsehfilm (WDR 1970) stolpert ein Individuum widerwillig dem Untergang entgegen. Der Begrenztheit allen Lebens hat dieses Geschöpf nur eines entgegenzusetzen: Weitermachen wie bisher... Und hoffen, dass es so etwas wie Endlichkeit vielleicht doch nicht gibt. Nach dem Motto: Ewige Jugend - Wachstum forever!
Ionescos minimalistisch-verrücktes Drehbuch ist ein Spiegel unserer Gegenwart. Und so können die Damen vom Ensemble LX gar nicht anders, als sich fröhlich hineinzubegeben in den surrealen Überlebenskampf. Der wegen seiner Aussichtslosigkeit ziemlich schrecklich ist. Oder komisch. Eben einfach absurd!
Ist es im Film ein Einzelner (von Ionesco selbst dargestellt) so sind es in unserer Adaptation gleich Drei, die oben bleiben wollen. Und doch "im Schlamm" landen: Zwei Schauspielerinnen und eine Musikerin, die in der vom Autor gesprengten Einheit von Zeit, Raum und Handlung jegliche Logik auf den Kopf stellen. Ein letztes Gefecht, das zugleich eine Begegnung von drei Frauen-Generationen ist.
Mit:
Undine Backhaus & Barbara Schaffernicht (Schauspiel)
Vera Knauer (Gesang, Keyboard)
Regie & Dramaturgie: Richard Jourdant
Fotografie: Alexandra MacNaughton
Premiere: 20. September 2024 im Kunsthaus sans titre
Vom ewigen Glück des Verfalls - eine Premierenkritik von Rüdiger Braun
“Ewige Jugend, Wachstum forever“ heißt Ionescos Stück „Der Schlamm“ jetzt und dreht sich um Leistungsfähigkeit, Produktivität, Wachstum, Konsum – und den Schrecken der Vergänglichkeit.
Das Potsdamer Ensemble LX macht aus der surrealistischen Farce minimalistische Bühnenkunst mit Seitenhieben auf unsere an der Performance – sprich: der Oberfläche - klebenden Gegenwart. Denn irgendwann klappt auch der Sprung aus dem Bett nicht mehr so gut. Das Kreuz tut weh oder die Füße versagen. Und zu guter Letzt ist es auch aus mit der unendlichen Wanderschaft. Statt einen Berg, Hügel, Leiter oder was auch immer zu erklimmen, bricht man ächzend zusammen und liegt wehrlos auf der Bühne wie anno 1971 Ionesco im Schlamm.
Undine Backhaus gibt unter der Regie von Richard Jourdant einen ebenso grummeligen wie agilen Handelsvertreter, dessen Ausdruck spielend von finsterem Verdruss in lichte Freude übergehen kann. Im Grunde seines Herzens kennt er die allzu harte Wahrheit seines Daseins nur zu genau. Es braucht keine aufwendigen Bühnenbauten, wenn Barbara Schaffernichts Erzählung jede Umgebung evozieren und diese sich in den staunenden Augen von Undine Backhaus spiegeln kann. Spiel und Rede werden von der jungen Musikerin Vera Knauer am Keyboard mit Hits aus den 80ern und 90ern mal gegenläufig, mal zuspitzend kommentiert.
Die kurzweilige 80-Minuten Inszenierung des Ensembles bringt die 53 Jahre alte Fernsehproduktion clever auf den zeitgemäßen Punkt.
Ionesco ereilte sein eigenes Ende erst 23 Jahre nach der Fernsehproduktion von „Schlamm“. Er hat wohl ebenso wie das Ensemble LX begriffen, dass es wunderbare Mittel gegen Alter und Verfall gibt: Selbstironie und Humor.
Über den Autor
Rüdiger Braun ist freier Journalist und arbeitet für die Märkische allgemeine Zeitung (MAZ).
21. 9. 2024